Brief über den Physikunterricht

an Prof. Hubert Markl,

Präsident der Max-Planck-Gesellschaft


die Erde im gekrümmten Raum

Berlin, den 11. 9. 2000

Sehr geehrter Herr Professor Markl,

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…Meinerseits habe ich Ihre Ansprache zur Jahreshaupt- versammlung [der Max-Planck-Gesellschaft] aufmerksam gelesen. Und bin natürlich an Ihrer Klage über den Mangel an naturwissenschaft- lichem Nachwuchs gestolpert, denn der Stolz meines Schulprojekts [in Fürstlich Drehna] ist doch, daß ich den Zugang zur Cyberworld über das Ästhetische gewählt habe – und gerade nicht über Technik und Naturwissenschaft. Wäre da ein Widerspruch?

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Ich glaube nicht, das Problem bestünde darin, daß die Schüler irgendwann die „schwierigen“ Fächer abwählen dürfen. Sondern darin, daß der naturwissenschaftliche Unterricht, den sie bis zu diesem Zeitpunkt genossen haben, so war, daß sie es wollen. Daß die Menschen Interesse nur an dem finden, was „Spaß“ macht, sagen bloß pädagogische Versager: Seit unsern Anfängen am Turkana-See ist das noch nie so gewesen. Warum sollte es über Nacht so geworden sein?

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Es trifft sich vorzüglich, daß Sie in Ihrer Ansprache den Akzent auf die Astrophysik Formellegen. Noch immer habe ich während meiner Berufs- tätigkeit – als Sozialpädagoge! – für Furore gesorgt, wenn ich den Zehn- bis Vierzehnjährigen von Sonne, Mond und Sternen, Schwarzen Löchern und Quasaren erzählte (in meinen besten Tagen gerade auf dem Niveau von Bild der Wissenschaft). Da haben selbst Quälgeister Maul und Ohren aufgesperrt. Aber – es sollte mich wundern, wenn nur einer von denen, als es so weit war, Physik nicht abgewählt hätte!

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Wie paßt das zusammen? Sie selbst haben das Lösungswort gesagt: Sie reden von „eigentlich unvorstellbaren Vorstellungen“! Und war es das, womit die Schüler in Klasse 7 bis 10 konfrontiert worden waren? Bestimmt nicht. Was ihnen geboten wurde, war nicht nur vorstellbar, sondern war ihnen von fremden Leuten längst fix und fertig vor-gestellt worden – damit sie’s „behalten“ sollten. Es ist aber nicht so, daß man zuerst „Fakten“ sammelt und sich hinterher ein „Bild“ daraus zusammensetzt, sondern genau umgekehrt. Wie in der Geschichte der Wissenschaft, so in der Bildungsgeschichte der Personen. Mit andern Worten, die Kinder müssen zuerst die Abenteuer des Denkens kennen lernen und den thrill des Noch-Unbestimmten, ehe sie „memorieren“; weil man nämlich die Fakten gern vergißt, solange sie nichts bedeuten. Das Staunen ist der Anfang der Philosophie, nicht das Addieren von Kenntnissen.


schwarzes Loch

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Mit vielem Dank für Ihre nochmalige Aufmerksamkeit und den besten Grüßen verbleibe ich herzlichst

Ihr

Jochen Ebmeier

Freunde des Landschulheims Fürstlich Drehna e. V.

~ von Panther Ray - November 17, 2008.

Eine Antwort to “Brief über den Physikunterricht”

  1. […] Hubert Markl, „Die Grenzenlosigkeit der Wissenschaften und die Knappheit der Talente“ in: Max-Planck-Forschung, JV 2002, S. […]

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