Intrinsische Moral (?)

•Dezember 16, 2010 • Kommentar verfassen

15. Dezember 2010, Neue Zürcher Zeitung

Zum Helfen geboren

Michael Tomasello über Kooperation und Hilfsbereitschaft unserer Jüngsten

Von Hans-Georg Deggau

Das schmale Bändchen, dessen Haupttext kaum siebzig Seiten umfasst, bietet einen glänzenden Forschungsbericht aus dem Feld der evolutionären Anthropologie. Der Autor, Michael Tomasello, empirischer Psychologe und Primatenforscher, Co-Direktor des Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Träger des Hegel-Preises der Stadt Stuttgart, stellt seine Forschungen und Thesen, Fragestellungen und empirischen Ansätze vor. Beispielhaft ein zusammenfassender Bericht über einige Experimente: «Kleinkinder im Alter zwischen 14 und 18 Monaten begegnen einem nicht verwandten Erwachsenen. Der Erwachsene steht vor einem kleinen Problem, und die Kleinkinder helfen ihm, es zu lösen. Dabei tun sie alles Mögliche, vom Herbeiholen nicht erreichbarer Gegenstände bis hin zum Öffnen von Schranktüren.» – Man stellt sich vor, wie die Kleinen zum Schrank krabbeln, um die Türe zu öffnen, auf vermisste Gegenstände zeigen oder einen besorgten Gesichtsausdruck erkennen lassen, wenn ein Erwachsener einen anderen schlecht behandelt.

Strafen und Belohnen hilft nicht

Aber warum ist das wichtig? Hinter den Versuchsanordnungen und dem Einsatz der «unzivilisierten» Probanden steckt eine einfache Überlegung: Legen Kinder, die noch nicht einmal sprechen können, altruistische Verhaltensweisen an den Tag, so scheint der Beweis geführt: Der Mensch ist gut. «Kinder sind von Natur aus altruistisch.» – Mit diesem Ergebnis des ersten Kapitels ist in evolutionärer Perspektive nicht viel gewonnen. Es ist noch ein weiter Weg bis zu den sozialen Institutionen, den das zweite Kapitel aufzeigen soll. Zentral ist dabei das Phänomen der geteilten Intentionalität. Anders als Affen sind Menschen in der Lage, einander zu vertrauen und zu kooperieren, gemeinsam Ziele zu verfolgen. Es bildet sich ein Wir-Gefühl, es bilden sich Rechte und Pflichten; die Kooperation wird freilich im Laufe des Heranwachsens «selektiv». Die nötige Koordination und Kommunikation lässt sich bereits bei Kindern im Alter zwischen 14 und 24 Monaten feststellen. Sie entwickeln eine Art arbeitsteiliger Rollenverteilung, gemeinsame Aufmerksamkeit und überindividuelle Perspektiven, die eine gewisse Normativität einschliessen. Die Experimente liefern eine weitere wichtige Erkenntnis: Belohnung und Bestrafung fördern das altruistische Verhalten von Kindern nicht – im Gegenteil: «Intrinsische» Motivationen werden dadurch «extrinsisch» unterlaufen.

Kurze Stellungnahmen von drei Kolleginnen und einem Kollegen Tomasellos aus den USA erweitern die Perspektiven. So thematisiert Joan B. Silk die Rolle des Altruismus und der widersprüchlichen Interessen der Einzelnen. Dass auch Kinder unter 12 Monaten bereits Erfahrungen gemacht und Erwartungen gebildet haben, von denen ihr Mitgefühl abhängt, betont Carol S. Dweck. Eine Entkoppelung von Kooperation und geteilter Intentionalität hält Brian Skyrms für möglich. Elizabeth S. Spelke fragt nach der Abgrenzung von universellen und erworbenen Eigenschaften und betont die Rolle der Sprache.

Die Überlegungen Tomasellos werden damit bereits argumentativ auf den Prüfstand gestellt. Ihre hohe Plausibilität zeigt erst bei genauerem Zusehen Risse. Die Darstellung lässt sich zum guten Teil in Begriffen traditioneller Problemstellungen formulieren. Dazu zählen beispielsweise: die Differenz zwischen Mensch und Tier; die Frage nach dem Wesen des Menschen; die Rolle der Vererbung; das Verhältnis von Phylogenese zu Ontogenese; die Beziehung zwischen innerem Geschehen und äusserem Ausdruck.

Greifen wir exemplarisch zur zuletzt genannten Problematik eine unscheinbare Stelle heraus. Bei einem Experiment mit 18 bis 24 Monate alten Kindern wurden deren Reaktionen beobachtet. Ihr Gesichtsausdruck wurde «von einem unabhängigen Beobachter zuverlässig als <besorgt> codiert». Von dieser Beurteilung hing die Bewertung des Experiments ab. Doch diese Codierung ist nicht so einfach, wie es scheint. Die Frage lautet: Zeigen sich Gefühle direkt im Gesichtsausdruck? Darwin hatte mit seiner 1872 publizierten Studie «Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren» ein ganzes Buch benötigt, um diese Frage zu bejahen. Gegen diese im 20. Jahrhundert von Paul Ekman vielfach forcierte These hat sich Widerspruch erhoben.

Anspruchsvolle Voraussetzungen

Die behauptete kulturelle Invarianz der Bedeutung des Gesichtsausdrucks ist problematisch. Gegen solche Ausdrucksuniversalien ist Verschiedenes einzuwenden: Kinder können schon sehr früh «Gesichter machen»; Gehirnforscher sprechen von frühen zerebralen Prägungen, die sozial determiniert sind; und eine Reflexion auf die Rolle des Beobachters fehlt bei Tomasello ganz. Unbesehen wird davon ausgegangen, dass der Gesichtsausdruck des Kindes nicht als Textur einer arbiträren Sprache zu lesen sei. Vielmehr wird postuliert, dass die Kinder unmittelbar zum Ausdruck bringen, was sie fühlen. Der Beobachter soll die inneren Vorgänge bei den «naturnahen» Probanden unmittelbar verstehen können. Dass auch die «natürlichste» Natur nur kulturell gelesen werden kann, wird nicht berücksichtigt.

Vielleicht kommen auch deswegen die theoretisch anspruchsvollen Voraussetzungen des Experimentaldesigns kaum in den Blick. Welche Prozesse vorsprachlicher Ich-Bildung laufen ab? Wie können einjährige Kinder sich und andere verstehen, sich Vorstellungen über Zeit, Zwecke und Mittel oder Werkzeuge bilden? – Viele Fragen bleiben offen. Insgesamt aber ist da in der Edition Unseld ein anregendes und nachdenklich stimmendes Büchlein erschienen.

Michael Tomasello: Warum wir kooperieren. Aus dem Englischen von Henriette Zeidler. Suhrkamp, Berlin 2010. 141 S., Fr. 18.90.

ADHS & Ritalin.

•Dezember 16, 2010 • Kommentar verfassen

aus FAZ.NET, 16. 12. 2010

Immer mit der Ruhe!

Mit neuen Richtlinien für Diagnose und Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms (ADS) und Hyperaktivitätssyndroms (HDAS) sollen Medikamente wie Ritalin nicht mehr so schnell verschrieben werden können.

Von Inka Wahl

Methylphenidat, vulgo RitalinMethylphenidat, vulgo Ritalin

Die Verordnung von psychoaktiven Stimulantien wie dem Methylphenidat, Handelsname Ritalin, ist deutlich verschärft worden. Damit dürfte sich auch die Behandlung von „zappeligen“ Kindern weiter verändern. Der Gemeinsame Bundesausschuss hatte die Arzneimittelrichtlinie so geändert, dass die Diagnosen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) oder ADS verbunden mit dem Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) seit Beginn dieses Monats nicht mehr allein aufgrund einzelner Symptome gestellt werden können. Fachärzte müssen die Kinder quasi zuerst begutachten und gegebenenfalls verhaltenstherapeutisch behandeln. „ADHS wird häufig ungerechtfertigt schon dann diagnostiziert, wenn nur ein Kriterium wie erhöhte Ablenkbarkeit erfüllt ist“, sagt Gerd Lehmkuhl von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Köln.

Außerdem dürfen nun nur noch diejenigen das Arzneimittel verschreiben, die sich als Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen ausweisen können, etwa Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin oder Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Kinderpsychotherapie. Hausärzte dürfen nur noch unter Aufsicht der Fachkollegen das Medikament verordnen, um die Versorgung auf dem Land zu sichern.

Mittel letzter Wahl

Mit der neuen Richtlinie hat der Bundesausschuss auf die Risikobewertung der Europäischen Arzneimittelbehörde reagiert. Diese hatte bereits im vergangenen Jahr gefordert, die langfristige Wirkung von Methylphenidat auf das Wachstum, die Entwicklung der Hirnfunktionen und das Herz-Kreislauf-System systematisch zu erforschen. In den Fachinformationen verschiedener Arzneimittelhersteller werden als häufige Nebenwirkungen des Wirkstoffs unter anderem Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen, Appetitverlust, Haarausfall und Juckreiz genannt sowie Wachstumsverzögerungen bei einer Langzeitanwendung von mehr als einem Jahr.

Ein bis zehn Prozent der Konsumenten seien von diesen Nebenwirkungen betroffen. Wie sich die Einnahme dieses Medikaments jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg auswirkt, ist bislang in kontrollierten Studien kaum untersucht.

Schon bisher galt in der Arzneimittelrichtlinie die Verordnung von Methylphenidat zur Therapie des „Zappelphilipp“- Syndroms als Mittel der letzten Wahl. Nur wenn sich andere Maßnahmen allein als unzureichend erwiesen hätten, so heißt es dort, könne das Medikament bei Kindern ab sechs Jahren und Jugendlichen ausnahmsweise verordnet werden und auch nur „im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie“. So gibt die Leitlinie zur Behandlung hyperkinetischer Störungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften vor, das betroffene Kind alleine oder gemeinsam mit den Eltern psychotherapeutisch zu behandeln sowie Erzieher und Lehrer einzubeziehen und über die Erkrankung aufzuklären. Wenn sich eine intensive psychologische Therapie nicht als wirkungsvoll erwiesen habe und die Symptome der Erkrankung wie Überaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität die Beziehung des Kindes zu seinen Eltern oder dessen Einbindung in das schulische Umfeld weiterhin stark belasteten, gilt das Medikament als wirkungsvoll.

Strengere Diagnosekriterien

Die Abgrenzung zwischen noch normalem Verhalten und einer hyperkinetischen Störung ist Lehmkuhl zufolge in der Praxis oft schwierig. Dass es nicht leicht fällt stillzusitzen, geduldig und konzentriert zu sein, weiß jedes Kind. Ob der Bewegungsdrang eines Kindes, Ungeduld und leichte Ablenkbarkeit eben noch kindgemäß oder doch über die Maßen ausgeprägt und deshalb behandlungswürdig sind, erfordert weitere Entscheidungskriterien. Eine entsprechende Diagnose sei erst dann gerechtfertigt, wenn ein Kind schon vor seinem sechsten Lebensjahr, beginnend über mindestens ein halbes Jahr hinweg, in mindestens zwei Lebensbereichen, beispielsweise in der Schule und im familiären Umfeld, verglichen mit seinen Altersgenossen, stetig durch starke körperliche Unruhe auffällt und es nicht vermag, sich auf eine Sache zu konzentrieren.

Mit der Neuregelung wird eine Entwicklung unterstützt, die im Grunde schon auf dem Weg war. So zeigte eine Analyse von Krankenkassendaten im Land Hessen, die unlängst im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, dass Allgemeinärzte und Kinderärzte im Jahr 2007 weniger häufig Methylphenidat verordneten als im Jahr 2000, während in den Ambulanzen der Kinder- und Jugendpsychiatrie die Verordnung des Medikaments in diesem Zeitraum um mehr als das Dreifache gestiegen ist. Die Gruppe um Ingrid Schubert von der Universität Köln fand in dieser Analyse von 50 000 Kindern und Jugendlichen zudem heraus, dass etwa einem Prozent aller Kinder und Jugendlichen im Jahr 2007 mindestens einmal Methylphenidat verordnet worden war. Das ist im Vergleich zum Jahr 2000 eine Verdoppelung. Auch die mittlere Tagesdosis pro Patient ist um rund 80 Prozent gestiegen.

Bei einer längerfristigen Behandlung mit Methylphenidat verlangt die neue Arzneimittel-Richtlinie nun außerdem regelmäßige Einnahmepausen. „Wir müssen immer wieder überprüfen, ob wir auf das Medikament verzichten können“, sagt Lehmkuhl.

Singen.

•Dezember 15, 2010 • Kommentar verfassen

Singen ist Kraftfutter für Kinderhirne

Torsten Schaletzke

Pressestelle

Universität Bielefeld

14.12.2010 15:00

Empirische Befunde für eine lange gehegte Vermutung

Gerade in den ersten Lebensjahren müssen Kinder wieder viel mehr Gelegenheit zum spielerischen Singen haben, als dies heute der Fall ist. Dies ist das zentrale Ergebnis einer umfangreichen Studie mit 500 Kindergartenkindern, die von Dr. Thomas Blank (Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld) und Dr. Karl Adamek (Universität Münster) gemeinsam mit dem Gesundheitsamt der Stadt Münster durchgeführt wurde. Danach wurden viel singende Kinder nach ärztlichen Befunden zu 88 Prozent, wenig singende Kinder hingegen nur zu 44 Prozent als regelschulfähig beurteilt.

Die Studie liefert erstmals überzeugende empirische Belege dafür, dass spielerisches Singen in bisher völlig unterschätztem, aber unersetzbaren Maße die Entwicklung von Kindergartenkindern in allen körperlichen, geistigen und sozialen Bereichen fördert. Dies gilt besonders für ihre Sprachentwicklung, ihr Sozialverhaltens und ihre Aggressionsbewältigung. Jedes Kind kann von vermehrtem Singen vielfältig profitieren, insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Schichten. Eine Erklärung für diese Befunde liefern neurobiologische und physiologische Studien, wonach Singen unter anderem zur vermehrten Produktion von Glücks- und zum Abbau von Aggressionshormonen führt. Deshalb bezeichnet der bekannte Göttinger Neurobiologe und Experte für die frühkindliche Hirnentwicklung Gerald Hüther auch das Singen als „Kraftfutter für Kinderhirne“. Wer die natürliche Fähigkeit zu singen hingegen nicht entwickeln kann, hat demnach Nachteile im Leben.

Sämtliche Ergebnisse dieser Studie haben Thomas Blank und Karl Adamek unter dem Titel „Singen in der Kindheit – Eine empirische Studie zur Gesundheit und Schulfähigkeit von Kindergartenkindern und das Canto elementar Konzept zum Praxistransfer“ im Waxmann Verlag (Münster) veröffentlicht.

Kontakt:
Dr. Thomas Blank, Universität Bielefeld
Fakultät für Soziologie
E-Mail: thomas.blank@uni-bielefeld.de

10 Jahre PISA.

•Dezember 7, 2010 • Kommentar verfassen

Es ist mal wieder so weit…

Zum zehnjährigen Jubiläum wiederholt das PISA-Konsortium in diesem Jahr die Testanordnung vom ersten Durchgang – Leskompetenz und mathematisches Verständnis.

Unabhängig von den diesjährigen Testergebnissen gilt immer noch, was schon vor zehn Jahren zu sagen war:

– Pisa im Wortlaut

-Nach Pisa – Parteienstreit und Paradigmenwechsel

Mit dem nicht unerheblichen Zusatz, dass inzwische klargestellt ist, dass PISA kei  wissenschaftliches Unternehmen ist, sondern ein tool zur Politikberatung. Wer sich darauf einmal eingelassen hat, darf sich nicht mehr beklagen, dass die Politiker dann doch wieder nur das tun, was sie sowieso schon  für vorteilhaft hielten:

Zur Kritik an Pisa

Es bleibt dabi:

Die Pisa-Studien sagen NICHTS über Schulstrukturen;

und sie sagen NICHTS über Lehrpläne – dafür sind sie nicht gemacht.

Welche „Schussfolgerungen“ die Bildungsministerien aus ihnen ziehen wollen, ist ganz ihrem Gutdünken überlassen.

World of Warcraft.

•Dezember 3, 2010 • Kommentar verfassen

Computerspiele im Fokus der Forschung

Katrin Braun
Pressestelle
Universität Duisburg-Essen

03.12.2010 16:01>

Es ist eine fantastische Welt, bevölkert mit Menschen, Elfen, Orcs und vielen anderen Völkern. Eine Welt, in der sich Helden in gewaltigen Schlachten bewähren und Schätze nur darauf warten, gefunden zu werden. Es ist die World of Warcraft (WoW). Mehr als zehn Millionen Menschen tauchen regelmäßig in das weltweit erfolgreichste Online-Abenteuer ein. Trotzdem ist dieses Phänomen bisher kaum erforscht. Der Arbeitskreis Digital-Game & -Gaming Forschung der Universität Duisburg-Essen (UDE) will dies ändern und untersucht seit drei Jahren verschiedene Aspekte von Computerspielen. Nun legt er erste Erkenntnisse zur Motivation und zu sozialen Gruppen der World of Warcraft vor.

Das Klischee des WoW-Spielers ist sehr negativ: Keine echten Freunde, kaum Bewegung und Stunden über Stunden vorm Rechner. Diese Vorurteile bedient der Arbeitskreis nicht. „Wir haben uns bewusst für Leute entschieden, bei denen man denkt, die spielen nicht“, erklärt Projektleiter Diego Compagna. Im Blick der Forscher waren Männer und Frauen zwischen 21 und 40 Jahren, die studieren und dabei arbeiten oder bereits komplett im Beruf stehen. „Diese Gruppe ist kaum erforscht, eben weil sie in der Gesellschaft nicht auffällt.“

Bei ihren Interviews und Onlinebefragungen machten die Wissenschaftler interessante Entdeckungen – gerade was die soziale Kompetenz der Spieler angeht. So fanden sie heraus, dass die größte Motivation das Miteinander ist. Die Gemeinschaften innerhalb der WoW, die sogenannten Gilden, spielen eine wichtige Rolle. Einer der Befragten erläutert: „Was zählt ist, dass man wie bei einem Sportverein etwas gemeinsam macht. Dabei können tolle Freundschaften entstehen, auch reale.“

„Der Vergleich mit Sportvereinen ist sehr treffend“, sagt Stefan Derpmann, der ebenfalls am Projekt beteiligt ist. So hat der Arbeitskreis herausgefunden, dass die virtuellen Gruppen genauso wie reale Gruppen funktionieren. Die Spieler identifizieren sich mit ihren Gilden, man trifft sich online und redet über Hobbies, Sport, Privates. Oft verabreden sich die Mitglieder auch im Real-Life – wie sie die reale Welt nennen. Häufig werden aus den Internetbekannten richtige Freunde. Daher sind sich die Forscher einig: Soziale Gruppen im Spiel sind eine Ergänzung des echten Lebens.

Auf der Homepage http://www.uni-due.de/game-research/ stellt der Arbeitskreis seine Ergebnisse vor. Dort sind auch alle bisherigen und künftigen Arbeiten der Spieleforscher zu finden. So untersuchen sie beispielsweise das Verhältnis zwischen dem Spieler und seiner Figur in Rollenspielen oder weibliche Clans im eSport.

Weitere Informationen: http://www.uni-due.de/game-research/
Diego Compagna, Tel. 0203/379-3703, diego.compagna@uni-due.de
Stefan Derpmann, Tel. 0203/379-3596, stefan.derpmann@uni-due.de

Intrinsische Moral.

•November 24, 2010 • 2 Kommentare

aus Neue Zürcher Zeitung, 24. 11. 2010

Kinder helfen keinen Fiesen

Moralabhängiges Sozialverhalten

bef. · Kleinkinder helfen andern Menschen schon in frühem Alter, sie sind aber keineswegs allen Mitmenschen gegenüber gleich hilfsbereit, wie dies Wissenschafter bisher angenommen haben. Vielmehr erkennen bereits Dreijährige böse Absichten anderer und lassen destruktiven Menschen deutlich weniger Hilfe zuteilwerden. Dies haben Entwicklungspsychologen um Amrisha Vaish am Max-Planch-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig mit Verhaltenstests bei Dreijährigen herausgefunden.¹ Die Kinder reagieren somit schon früh auf das moralische Verhalten anderer und zeigen Ansätze eines von Erwachsenen bekannten Verhaltensmusters, nämlich Hilfsbereitschaft zu erwidern und destruktiven Menschen aus dem Weg zu gehen oder sie gar abzustrafen.

Kinder erkennen Absicht

Bei den Tests lernte ein Kind eine erwachsene Schauspielerin als entweder hilfsbereit oder fies kennen. So half die Schauspielerin vor den Augen des Kindes einer dritten Person beispielsweise, eine irrtümlich zerrissene Zeichnung oder eine fallengelassene Figur zu reparieren, oder sie zeigte sich destruktiv, indem sie die Zeichnung einer dritten Person absichtlich zerriss oder eine von dieser Person hergestellte Figur zerstörte. Anschliessend begannen die Schauspielerin und eine vierte, neutrale Person je mit einem einfachen Puzzlespiel, zu dem ihnen jeweils ein Teil fehlte, in dessen Besitz das Kind war. Aus dem Umstand, wem das Kind das fehlende Puzzleteil allenfalls überreichte, schlossen die Forscher auf dessen Hilfsbereitschaft. Zeigte sich die Schauspielerin hilfsbereit, erhielt sie das Teil in 11 von 18 Fällen, zeigte sie sich destruktiv, in 4 von 18 Fällen.

Allerdings ist es nicht nur das destruktive Handeln, das Kinder mit unterlassener Hilfsbereitschaft bestraften, sondern auch die Absicht dazu, wie die Wissenschafter mit weiteren, ähnlich aufgebauten Tests herausfanden. Die Schauspielerin zerstörte dazu Zeichnung oder Figur unabsichtlich und äusserte ihr Bedauern darüber, oder sie zeigte die Absicht, das Werk zu zerstören, schaffte es aber nicht. Hier erhielt die Schauspielerin das fehlende Puzzleteil in 9 von 18 Fällen, in denen sie das Werk unabsichtlich zerstörte, und in 6 von 18 Fällen, in denen sie eine bösartige Absicht zeigte.

Früher Altruismus

Schon länger bekannt ist, dass Kinder bereits im frühen Alter altruistisch handeln. Sie helfen anderen Menschen, auch ohne eine direkte Gegenleistung, und zwar auch fremden, nichtverwandten Menschen. So halfen etwa eineinhalbjährige Kleinkinder in Versuchen Erwachsenen in einer unbeholfenen Situation (beispielsweise mit einem Stapel Zeitschriften in den Händen), einen fallengelassenen Stift aufzuheben oder ihnen eine Tür zu öffnen. Auch ist bekannt, dass ein- und zweijährige Kinder bereits emotional auf andere Menschen eingehen können und gelegentlich weinende Personen trösten.

Zudem weiss man, dass bereits Säuglinge zwischen hilfsbereitem und destruktivem Verhalten unterscheiden können und das hilfsbereite Verhalten bevorzugen. Wissenschafter haben dies in Verhaltensstudien mit 6 Monate alten Kleinkindern beobachtet. In einer Art Puppenspiel halfen stilisierte Holzfiguren anderen, einen Berg hochzukommen, oder hinderten sie daran. Vor die Wahl gestellt, mit welcher Holzfigur die Säuglinge spielen möchten, zeigten alle 12 jungen Probanden auf die helfende Figur.

¹ Child Development, 81, 1661-1669 (2010).

Was Kinder nicht erst lernen müssen…

•November 18, 2010 • Kommentar verfassen
aus New York Times, 16. 11. 2010
By SINDYA N. BHANOO

Understanding another’s intent is an important skill for lawyers, and perhaps politicians and businessmen as well, but according to a new study, it is an ability that even toddlers have.

Researchers from the Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology in Germany report that children as young as 3 are less likely to help a person after they have seen them harm someone else — in this case adult actors tearing up or breaking another adult’s drawing or clay bird.

More intriguing is that the toddlers judged a person’s intention. When one person tried to harm someone else but did not succeed, the youngsters were less likely to help that person at a later time.

But when they observed a person accidentally cause harm to another, they were more willing to help that person.

“It had been thought for a long time that it was at a later age, only around age 5 or 6, that children become conscious of other people’s intentions,” said Amrisha Vaish, one of the study’s authors and a developmental psychologist at the Max Planck Institute. “To help those who help others is actually a very sophisticated ability.”

It is a form of cooperation that is thought to have enabled the emergence and sustenance of human society as it is today, she said.

The research appears in the journal Child Development.

Der entwicklungsbiologische Grund der Pädagogik.

•November 17, 2010 • Kommentar verfassen

aus scinexx

Homo sapiens-Kinder sind

„Nesthocker“

Studie: Lange Kindheit im Vergleich zum Neandertaler-Nachwuchs bietet evolutionären Vorteil

Beim Menschen dauert die Kindheit wesentlich länger als beispielsweise beim Schimpansen. Ein ähnliches Muster hat ein internationales Forscherteam jetzt auch beim Vergleich von Menschen- und Neandertaler-Kindern entdeckt: Moderne Menschen werden, indem sie ihren Reifeprozess ausdehnen, im Vergleich zu Schimpansen und Neandertalern als Letzte „flügge“. Dieses beschert ihnen jedoch einen einzigartigen evolutionären Vorteil, schreiben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS). Oberkiefer eines Neandertalerkindes

Mithilfe von Synchrotron-Strahlen, einem präzisen Röntgenverfahren, haben die Forscher in ihrer neuen Studie das Wachstum von zehn jungen Neandertaler- und Homo sapiens-Fossilien nachvollzogen und sichtbar gemacht. Abgesehen von einer Überlappung, die für nahe miteinander verwandte Arten typisch ist, entdeckten die Forscher auch die signifikanten Unterschiede in deren Entwicklung. Trennung der Abstammungslinien vor sechs bis sieben Millionen Jahren Zwischen nahe verwandten Arten, wie zum Beispiel Mensch und Schimpanse, existieren zahlreiche Unterschiede. Sie manifestierten sich, als sich die beiden Abstammungslinien vor sechs bis sieben Millionen Jahren trennten und beide Arten sich unabhängig voneinander weiter entwickelten. Forscher wissen jedoch sehr wenig darüber, welche Veränderungen zur Abspaltung der beiden Linien vom gemeinsamen Vorfahren führten, wie diese Veränderungen entstanden und wann sie auftraten. Frühe Menschen besaßen kurze Wachstumsperioden Ähnlich wie Schimpansen wiesen auch frühe Menschen – Australopithecinen und Vertreter der Gattung Homo – kurze Wachstumsperioden auf. Warum, wann und in welcher Gruppe früher Menschen die „modernen“ Voraussetzungen zu einer relativ langen Kindheit entstanden sind, ist ebenfalls noch nicht bekannt.

Eine der bisher nur wenig verstandenen Veränderungen ist unsere einzigartige Lebensgeschichte beziehungsweise die Art, in der wir unser Wachstum, unsere Entwicklung und Fortpflanzungsbemühungen zeitlich aufeinander abstimmen. Im Vergleich zum Menschen ist die Lebensgeschichte von Menschenaffen durch eine kürzere Schwangerschaftsdauer, schnellere Reiferaten nach der Geburt, ein jüngeres Alter bei der ersten Fortpflanzung, eine kürzere postreproduktive Periode und eine kürzere Gesamtlebensspanne gekennzeichnet.

Schimpansen bereits mit 13 geschlechtsreif

So erreichen Schimpansen einige Jahre früher als Menschen die Geschlechtstreife und bringen ihren ersten Nachwuchs im Alter von 13 Jahren zur Welt, Menschen sind durchschnittlich 19 Jahre alt – ermittelt an der weltweiten Bevölkerung. „Die langsame Entwicklung bei Kindern steht im direkten Zusammenhang mit dem Entstehen menschlicher, sozialer und kultureller Komplexität“, sagt Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der zusammen mit Kollegen der Harvard University und der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble für die neue Studie verantwortlich war. „Sie verschafft dem Gehirn eine längere Reifezeit und eine ausgedehnte Periode des Lernens.“ Gebiss des Neandertalerkindes

Zähne als Zeitspeicher

Man könnte annehmen, dass die dokumentierten fossilen Funde keine Lebensgeschichten preisgeben. Aber es hat sich herausgestellt, dass viele Variablen der Lebensgeschichte eines Individuums stark mit der Entwicklung der Zähne korrelieren. „Zähne sind beeindruckende Zeitspeicher, die jeden einzelnen Wachstumstag aufzeichnen und ähnlich wie die Jahresringe bei Bäumen den entsprechenden Fortschritt sichtbar machen. Noch beeindruckender ist es, dass unsere ersten Backenzähne eine winzige ‚Geburtsurkunde’ enthalten. Wenn Forscher diese Geburtslinie finden, können sie exakt berechnen, wie alt ein Kind zum Zeitpunkt seines Todes war“, erklärt Tanya Smith, die an der Harvard University und dem MPI in Leipzig forscht.

Supermikroskop im Einsatz

Mithilfe eines „Supermikroskops“ können die Forscher diese forensische Herangehensweise nun auch beim Blick in die Vergangenheit anwenden: Am ESRF, einer der größten Synchrotron-Anlagen der Welt, werden die dazu notwendigen extrem starken Röntgenstrahlen produziert. „An der ESRF können wir in unschätzbar wertvolle Fossilien hineinsehen, ohne sie zu beschädigen, indem wir die speziellen Eigenschaften energiereicher Synchrotron-Röntgenstrahlen nutzen“, sagt Paul Tafforeau: „Wir können Fossilien in verschieden großen Maßstäben und in drei Dimensionen untersuchen, von ihrer Gesamtform in 3D bis hin zu den mikroskopisch kleinen Tages-Wachstumslinien. Die ESRF ist zurzeit die einzige Einrichtung, wo diese Untersuchungen an fossilen Menschen möglich sind.“

Wuchsen Neandertaler anders?

Wissenschaftler waren sich jahrzehntelang uneins, ob Neandertaler anders wuchsen als moderne Menschen. Die neue Studie von Smith, Tafforeau und anderen Experten schließt nun einige der berühmtesten Neandertaler-Kinder mit ein, darunter auch das allererste Fossil der menschlichen Familie, das jemals gefunden wurde. Man nahm an, dass dieses Neandertalerkind aus Belgien, das im Winter 1829/30 entdeckt wurde, vier bis fünf Jahre alt war, als es starb. Mithilfe der Synchrotron-Röntgenstrahlen und modernster Computersoftware konnten die Forscher das tatsächliche Alter des Kindes zum Todeszeitpunkt jedoch auf drei Jahre datieren. Eine bedeutende Erkenntnis aus der aktuellen 5-Jahres-Studie ist den Wissenschaftlern zufolge, dass die Zähne bei Neandertalern wesentlich schneller wachsen als bei Vertretern unserer eigenen Art, einige der ältesten Gruppen moderner Menschen mit eingeschlossen, die Afrika vor 90.000 bis 100.000 Jahren verließen. Das Wachstumsmuster bei Neandertalern liegt zwischen frühen Vertretern unserer Gattung – zum Beispiel Homo erectus – und heute lebenden Menschen, so die Forscher.

Langsames Wachstum und lange Kindheit

Das für unsere Art so charakteristische langsame Wachstum und die lange Kindheit scheinen sich also erst kürzlich und ausschließlich in unserer eigenen Art durchgesetzt zu haben. Diese verlängerte Reifeperiode kann nach Angaben der Wissenschaftler zusätzliches Lernen erleichtern, eine komplexe Kognition fördern und verschaffte dem frühen Homo sapiens möglicherweise einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Neandertaler.

Die neuen Studien gesellen sich zu der wachsenden Zahl an Beweisen, die besagen, dass es tatsächlich subtile Entwicklungsunterschiede zwischen uns und unserem Cousin, dem Neandertaler, gibt. In der Fachzeitschrift Current Biology berichteten Philipp Gunz und Kollegen des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie erst vor Kurzem, dass auch die Entwicklung des Gehirns bei Neandertalern anders verläuft als beim modernen Menschen.

Sequenzierung des Neandertalergenoms

Darüber hinaus hat die Sequenzierung des Neandertalergenoms durch Molekularbiologen um Svante Pääbo spannende genetische Hinweise gefunden, die auf Unterschiede bei der Entwicklung des Gehirns und des Skelettes bei Neandertalern im Vergleich zum modernen Menschen hindeuten. Diese neuen Methoden ermöglichen es den Forschern, die Ursprünge einer grundlegenden menschlichen Eigenschaft zu beleuchten: den kostspieligen aber vorteilhaften Übergang von der ursprünglichen Strategie „Lebe schnell und stirb jung“ zur fortgeschritteneren Strategie „Lebe langsam und werde alt“, die uns zu einer der erfolgreichsten Organismen auf diesem Planeten gemacht hat.

(MPG, 17.11.2010 – DLO)

Homo puer.

•November 15, 2010 • Kommentar verfassen

Neanderthaler hatte kürzere Kindheit als der moderne Mensch

AFP

15. 11. 2010

Der Neanderthaler hatte einer neuen Studie zufolge eine kürzere Kindheit als der moderne Mensch. Die langsamere Entwicklung könnte dem Homo Sapiens einen Vorteil in der Evolution gegenüber dem Neanderthaler gegeben haben, berichtet eine deutsch-amerikanische Forschergruppe in der Zeitschrift der US-Akademie der Wissenschaften PNAS. Diese Erkenntnis stützt sich auf eine Untersuchung der Zähne der beiden Arten mittels Röntgenstrahlen.

In der Studie zeigt die Forschergruppe um die Biologin Tanya Smith von der Harvard University und dem deutschen Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie, dass das Wachstum der Zähne bei jungen Neanderthalern weit schneller war, als bei den ersten modernen Menschen, die vor 90.000 bis 100.000 Jahren den afrikanischen Kontinent verließen. Die Neanderthaler starben aus noch immer unbekannten Gründen vor rund 30.000 Jahre

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Nota:

Meine Rede seit Jahr und Tag – der Mensch unterscheidet sich von den Tieren summa summarum durch seine ausgeprägte Kindlichkeit (und übrigens auch seine ausgeprägte Männlichkeit; und beides läuft womöglich aufs Selbe hinaus).

Schulreform.

•November 15, 2010 • Kommentar verfassen

Pädagogik vom Kinde her denken.